Weltweit werden sinnvolle und notwendige Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des COVID-19-Virus einzudämmen. Diese Maßnahmen wirken reflexartig auch nachteilig auf die Wirtschaft. Angesichts geschlossener Grenzen und der Einschränkung der Freizügigkeit betreffen die nachteiligen Wirkungen in besonderer Weise Hotels, Reiseunternehmen und die Konsumgüterindustrie. Diese nachteiligen Auswirkungen werden sich sehr wahrscheinlich in weitere Wirtschaftszweige ausbreiten, etwa in die verarbeitende Industrie und in den Dienstleistungssektor. Das wird dazu führen, dass nicht mehr alle Unternehmen ihren Zahlungsverpflichtungen unter Miet- und Darlehensverträgen nachkommen können. Nach deutschem Recht führt dies nach geltender Rechtslage unvermeidlich zur Insolvenz dieser Unternehmen.
Die deutsche Regierung will diese nachteiligen Wirkungen möglichst vermeiden, zumindest aber abmildern und hat deshalb einen Formulierungsvorschlag für ein Gesetz erarbeitet. Nach diesem Gesetz würden Mietzahlungen und Zahlungen von Zinsen und Tilgungen unter Darlehensverträgen unter gewissen Voraussetzungen zunächst bis 30. Juni 2020 ausgesetzt. Die Bundesregierung kann diese Aussetzung bis zum 30. September 2020 verlängern (ohne Zustimmung des Bundesrates) und über den 30. September 2020 hinaus (mit Zustimmung des Bundesrates).
Der Gesetzesentwurf, genannt "Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19 Pandemie im Zivil, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht", (der "Entwurf") bringt die erwartete Klärung der intensiven Diskussionen der letzten Wochen um die Auswirkungen des COVID-19-Virus (zum Teil beschränkt auf Verbraucherdarlehen): Sollten dessen wirtschaftlichen Effekte eine wesentliche nachteilige Auswirkung (sog. "Material Adverse Effect" oder "Material Advers Change") sein oder zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen? Und welche Folgen sollte das haben: Sollte der Mieter oder Vermieter den Mietvertrag kündigen dürfen? Sollte der Darlehensgeber den Kreditvertrag (vor und nach Auszahlung) kündigen dürfen oder sich auf eine Vertragsanpassung einlassen müssen? Wie soll mit dramatisch einbrechenden Cashflows umgegangen werden, die unweigerlich zu einer Insolvenz von Unternehmen führen würden, wenn Mieten und Darlehen nicht mehr bedient werden könnten?
Nach dem Entwurf soll (wieder) ein Art. 240 EGBGB eingefügt werden (s. Artikel 5 des Entwurfs). § 2 des Art. 240 EGBGB (neu) betrifft die Mietvertragsszenarien und § 3 des Art. 240 EGBGB (neu) führt Regelungen für (zunächst) Verbraucherdarlehensverträge ein.
Die Regelungen des Entwurfs zu Mietverträgen im Detail:
- ein Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Ausschluss des Kündigungsrechtes gilt bis zum 30. Juni 2022.
Die Regelungen des Entwurfs zu Verbraucherdarlehensverträgen im Detail:
- die Regelungen gelten für alle Darlehensverträge, die vor dem 15. März 2020 geschlossen wurden;
- vorbehaltlich der unten genannten Ausnahme:
- Zins- und Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und 30. Juni 2020 fällig werden, werden für die Dauer von drei Monaten gestundet, wenn der Verbraucher aufgrund der durch die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn sein angemessener Lebensunterhalt oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtigten gefährdet ist. Der Verbraucher bleibt jedoch berechtigt, die Zahlungen zu leisten;
- Kündigungsrechte des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs, wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse oder der Werthaltigkeit der gestellten Sicherheiten sind unter entsprechenden Voraussetzungen ebenfalls bis zum 30. Juni 2020 ausgeschlossen;
- Darlehensgeber und Verbraucher können abweichende Vereinbarungen treffen, nicht jedoch zu Lasten des Verbrauchers;
- der Darlehensgeber soll dem Verbraucher ein Gespräch über die Möglichkeit einer einverständlichen Regelung und über mögliche Unterstützungsmaßnahmen anbieten; kommt es zu einer Einigung, hat der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer eine Abschrift des Vertrages zur Verfügung zu stellen;
- kommt eine einverständliche Regelung für den Zeitraum nach dem 30. Juni nicht zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate und die Fälligkeiten der vertraglichen Leistungen werden um diese Frist hinausgeschoben;
- Die vorgenannten Regelungen gelten nicht, wenn dem Darlehensgeber die Stundung oder der Ausschluss der Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (einschließlich der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände) unzumutbar ist.
- Die Bundesregierung kann den persönlichen Anwendungsbereich auf Kleinstunternehmen erweitern, sprich auf Unternehmen (i) die weniger als 10 Personen beschäftigen; und (ii) dessen Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 2 Mio. EUR nicht überschreitet.
Wird der Entwurf in der vorliegenden Form Gesetz, wäre dies ein Eingriff in die Vertragsfreiheit. Überdies beweist er: Der deutsche Gesetzgeber geht nicht davon aus, dass Verpflichtungen unter Mietverträgen oder Darlehensverträgen ohne Weiteres von den (wirtschaftlichen) Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ausgesetzt oder angepasst werden (können). Das entspricht vor allem für Darlehensverträge der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Zusammen mit den Modifizierungen des Insolvenzrechts (in Artikel 1 des Entwurfs enthalten) gibt der Entwurf Mietern und Darlehensnehmern Zeit, durchzuatmen. Der Entwurf ist damit eine wesentlicher Beitrag der deutschen Regierung, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten, insbesondere Mieter vor dem Verlust ihrer gemieteten Räumlichkeit zu schützen.
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